Dürfen die überhaupt wählen?
Eine Frage, die ich bei meinen Seminaren zu Wahlen für Menschen mit Behinderungen schon öfters gehört habe, auch von Journalist/innen, die über diese Seminare berichten. „Warum dürfen die überhaupt wählen?“Meine Standardantwort: verfolgen Sie das Seminar, stellen Sie den Teilnehmern Fragen, stellen Sie dann aber dieselben Fragen den „normalen“ Menschen auf der Straße, bevor wir über eine Aberkennung des Wahlrechts reden. Natürlich sind die Menschen, die meine Seminare besuchen, nicht repräsentativ, ich stelle aber oft ein großes Interesse und eine große Sensibilität für politische Themen fest, ich sehe also keinen Grund pauschal Menschen vom Wahlrecht auszuschließen.
Die Rechtslage: rund 80.000 Menschen dürfen nicht wählen
Die Rechtslage ist eindeutig: (nur) Menschen, die einen Betreuer für alle Lebenslagen haben, dürfen nicht wählen. In Deutschland gibt es rund 80.000 Menschen, die einen Betreuer in allen Lebenslagen haben und deshalb nicht wählen dürfen. Nach Erfahrungsberichten wird dies oft chaotisch gehandhabt: Menschen, die eigentlich nicht wählen dürfen, bekommen die Unterlagen – Wahlberechtigte wiederum nicht. Ebenso eindeutig aber auch die Forderung der Behindertenrechtskonvention: Es darf keinen Ausschluss vom Wahlrecht geben! Verbände und Politiker/innen, darunter Bundestagsvizepräsidentin Ulla Schmidt fordern dies auch für Deutschland.
Einen weiteren Weg zur Umgehung des Ausschlusses mahnen viele Behindertenvertreter/innen an: viele Menschen bräuchten gar keinen Betreuer für alle Lebenslagen und könnten so dem Ausschluss und die damit verbundene Entmündigung umgehen.
Die Gefahr der Beeinflussung – helfen lassen, aber selber entscheiden
Es gibt zweifellos die Gefahr, dass Menschen mit Behinderungen durch Betreuer oder Familie beeinflusst werden. Aber auch hier sehe ich keine großen Unterschiede zur „normalen“ Bevölkerung. Dennoch finde ich diesen Punkt besonders wichtig: „Lassen Sie sich helfen, entscheiden Sie aber selber“ ist deshalb ein wichtiger Appell bei meinen Seminaren.Interessante Artikel zum Thema Wahlausschluss
Der Spiegel hat in einem interessanten Artikel berichtet, dass Nordrhein-Westfalen der Wahlausschluss für die Landtagswahl aufgehoben wurde und Menschen mit Behinderungen erstmals wählen durften.Differenziert argumentiert auch die Süddeutsche in der Samstag-Ausgabe des letzten Wochenendes:
Zum Schluss noch ein Hinweis auf einen Artikel, der die einseitige Benachteiligung beseitigen würde. Ein Professor fordert in einem Artikel einen Wissenstest und würde so die Gleichbehandlung herstellen – das ist dann wenigsten konsequent.